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Digitalisierung, Automation – wo steht die Südtiroler Industrie?

26 Mai 2023

Digitalisierung und Automation verändern die Welt. Welchen Einfluss sie auf die Industrie, auch in Südtirol haben, wird in diesem Beitrag deutlich.

Wie verändern Digitalisierung und Automation die Welt der Industrie? Welchen Einfluss haben sie auf die Produktion, die Beschäftigung, und welche Rolle spielen die Südtiroler Industrieunternehmen dabei? Wir haben mit Erwin Rauch, Stiftungsprofessor für smarte und nachhaltige Produktion an der Freien Universität Bozen, darüber gesprochen.

Wie ändert Digitalisierung die industriellen Machtverhältnisse in der Welt?

Erwin Rauch ist Stiftungsprofessor für smarte und nachhaltige Produktion an der Freien Universität Bozen.

Wenngleich wir uns nun bald seit mehr als zehn Jahren mit den Themen Industrie 4.0 und Digitale Transformation auseinandersetzen, sind wir noch weit davon entfernt, alle Potenziale realisiert zu haben. Im europäischen Vergleich sind wir laut der DESI Studie 2022 (Digital Economy and Society Index) in Italien trotz aller Anstrengungen hinsichtlich Incentives und Steuererleichterungen für neue und digitale Technologien beispielsweise weit unterhalb des europäischen Mittelwerts nur auf Platz 18 zusammen mit Portugal, Ungarn und Tschechien. Aber auch Länder wie Deutschland oder Österreich liegen nur im europäischen Mittelfeld und müssen insbesondere im Bereich der Bürokratie noch sehr viel aufholen. Was beeindruckt, sind die skandinavischen Länder wie Finnland oder Schweden, die die Rangliste anführen. Diese Länder sind auch geprägt von einem hohen Wohlstand, was natürlich nicht ausschließlich, aber mitunter auch, dem hohen Grad der Digitalisierung und Attraktivität für Investoren zuzuschreiben ist.

Können Sie uns dazu ein Land nennen, das beispielhaft ist?

Nehmen wir Estland, wo ich erst kürzlich war. Das kleine Land am baltischen Meer hat es in den letzten Jahren geschafft, mit seinen nur 1,3 Millionen Einwohnern ein ausgeprägtes Image im Bereich ICT und Digitalisierung aufzubauen. Öffentliche Prozesse sind weitgehend automatisiert und digitalisiert. Auf den Straßen fahren autonome Roboter von Starship Technologies herum und liefern Essen aus und auf den öffentlichen Straßen in der Nähe des Universitätsgeländes begegnete uns ein Testbus für autonomes Fahren. Große namhafte Unternehmen investieren in Start Ups rund um die dort entwickelte Technologie des autonomen Fahrens und Forscher an der TalTech bestätigen das rege Interesse asiatischer Unternehmen für die dort entwickelte Technologie. Diese Entwicklung hat auch zu einem enormen Sprung an Wohlstand im Land geführt, was sich teils auch in der höchsten Inflationsrate in Europa (mehr als 20%) widerspiegelt.

Wie ist die Situation in Südtirol?

In Südtirol haben wir hier noch großen Aufholbedarf, sowohl was Digitalisierung im öffentlichen Bereich betrifft, als auch in den Unternehmen selbst. Die meisten großen Unternehmen sind in der Zwischenzeit bereits auf einem guten Punkt, was die Digitalisierung der Arbeitsprozesse anbelangt. Zukünftig gilt es, dieses Level auf die große Menge an klein- und mittelständischen Unternehmen herunterzubrechen.

Ein weiterer fruchtbarer Boden für Innovationen in Südtirol betrifft die künstliche Intelligenz. In Südtirol haben wir beispielsweise kompetente Forschungsinstitute und weltweit namhafte Forscher in diesem Bereich. Die Errichtung der neuen Fakultät für Ingenieurwesen am NOI Techpark in Bozen trägt hier künftig sicher sehr viel bei, um Forscher und Unternehmen näher zusammenzubringen, um die Ergebnisse aus der Forschung auch in die Unternehmen zu transferieren. Hier gilt, eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Unternehmen zu fördern.

Die Mitarbeitersuche wird immer schwieriger. Welche Lösungsansätze können da Digitalisierung und Automation bieten? An welchem Punkt sind wir in Südtirol?

Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften (und vor allem qualifizierten Fachkräften) stellt unsere Unternehmen aktuell vor große Herausforderungen. Künftiges Wachstum ist, ohne einen ausgeprägten Grad an Digitalisierung und Automation gar nicht mehr zu schaffen, da uns schlichtweg die Humanressourcen fehlen. Den Unternehmen ist bewusst, dass sie zum einen versuchen müssen, für lokale Arbeitskräfte attraktiv zu sein und sich auch für Fachkräfte aus dem Ausland öffnen müssen. Und ich meine damit auch ganz bewusst „müssen“. War es vor 10 Jahren noch häufig undenkbar, jemanden der nicht Deutsch und Italienisch spricht im Unternehmen zu beschäftigen, sind viele Unternehmen heute viel offener und wechseln in der Unternehmenssprache auch vermehrt auf Englisch, um so die Integration von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland zu vereinfachen.

Zum anderen wissen die Unternehmen auch, dass sie daran arbeiten müssen, stupide Routinetätigkeiten zu automatisieren, um so mit derselben Belegschaft mehr Leistung erbringen zu können. Diese Automatisierung findet sowohl in den Herstellungsprozessen als auch den Geschäftsprozessen statt. Im Bereich der Produktionsprozesse können wir vor allem von einer flexiblen Automatisierung profitieren. Die Südtiroler Industrieunternehmen müssen Lösungen für teilautomatisierte Prozesse finden. Diese kann in verschiedenen Formen erfolgen. Hier hat es bereits im letzten Jahrzehnt große Umstellungen in den lokalen Betrieben gegeben.

Und Automatisierung in der Informationsbeschaffung bzw. bei Entscheidungen?

Hier besteht sicher ein künftig noch größeres Potenzial; intelligente Fertigung durch automatisierte Informationsbeschaffungs- und autonome Entscheidungsprozesse. Viele Mitarbeiter in der Fertigung und im Bürobereich verlieren wertvolle Arbeitszeit durch Suchen von Informationen, die irgendwo im Unternehmen vorhanden sind. Warum also nicht einen KI-basierten Manufacturing Bot einsetzen, der nach den Informationen in den betriebsinternen Informationssystemen sucht? Weiteres Potenzial steckt in der Umsetzung des vielzitierten Digitalen Zwillings, den viele glauben bereits zu betreiben. Bei den meisten Umsetzungen handelt es sich aber lediglich um ein datenbasiertes Monitoring. Es gilt künftig echte Digitale Zwillinge umzusetzen, welche die vorhandenen Daten mittels data analytics, Simulation oder auch KI verarbeiten und nahezu eigenständig und autonom, bzw. durch einen letzten Check eines geschulten Mitarbeiters, Entscheidungen zu treffen und Produktionsprozesse zu optimieren. In Südtirol haben viele Unternehmen schon den Schritt in Richtung Datenerfassung getätigt, sind aber häufig noch weit entfernt von einer effektiven Nutzung dieser Daten zur Automatisierung von Planungs-, Dispositions- oder Entscheidungsprozessen.

Kurzum, der Trend Automatisierung in der Industrie wird sich fortsetzen. Ein wichtiger Vorteil ist, dass damit der aktuelle Fachkräftemangel ausgeglichen werden kann. Doch gibt es auch Risiken?

Risiken sind in den Bereichen Ethik und Cybersecurity zu erkennen. Im Bereich Ethik für KI ist Europa beispielsweise weit voran und arbeitet mit Hochtouren an der Definition von Leitlinien. Mit steigender Digitalisierung und Automatisierung steigt das Risiko für Sicherheitslücken und damit Cyberattacken. Auch hier gilt es in Zukunft aufzurüsten und die Unternehmen so weit als möglich durch technische und organisatorische Maßnahmen zu schützen. Andererseits gibt es natürlich auch die Notwendigkeit unqualifizierte Arbeitskräfte künftig zu requalifizieren und fit zu machen für aktuelle Berufsprofile.

Der zweite Teil des Gesprächs mit Prof. Rauch zum Thema Nachhaltigkeit folgt in Kürze.